»Snakes … just Snakes«


Da geht man sorglos in die Innenstadt – man hat ja Besorgungen zu tätigen – rein zur Versorgung. Man schlendert durch den Nieselregen und sieht schon von weitem eine stakkatoartig redende Wackel-Fresse mit Nasalstimme auf einem riesigen Flatscreen, der über die Köpfe der Passanten hinweggehängt ist. Es ist [sehr] laut. Man denkt an Comedy und nähert sich mit einem Schmunzeln. Da reißt wohl einer seine Witze. Recht pseudoeloquent. Aber kann man ja mal ansehen. Vielleicht hilft es, den Schnupfen und die Kopfschmerzen zeitweise zu eliminieren. Irgendwoher kennt man den Mimen, der da spricht, und freut sich auf eine sanfte Parodie oder leicht grenzwertige Satire, vorgetragen von einem mittelmäßigen Komödianten. Man ist noch zu weit weg und kann das Gesicht noch nicht klar erkennen. Man tätigt einen knappen Blick in ein Schaufenster rechts von einem und dann schaut man zurück. Irgendwelche Neuronen verknüpfen sich und man ist sich auf einmal bewusst, dort spricht Ken Jebsen. Ein selbsternannter Alleserklärer und Welt­experte. Einer der wenigen, die die fabelhafte Fähigkeit besitzen, Halb- und Viertelwissen hyperkomplexer Themengebiete zu vermengen und auf einen Bierdeckel runterzureißen. Jetzt ist man nah genug und erkennt ihn auch optisch. Im Schnellsprech rattert er irgendwelche speed-geschwängerten Phrasen von sich, denen Vorbeigehende sowieso nicht folgen können. Sein Kopf bewegt sich ruckartig vor und zurück und nur selten seitwärts, und wenn, dann etwas langsamer. Er hat sich gerade in Rage geredet und scheint es zu genießen, irgendwie wichtig zu wirken. Aber er ist nur eine Aufzeichnung. Eine Reproduktion zur Untermalung einer Werbebotschaft. Verteilt um den Bildschirm stehen verschiedene Personen mit Banderolen um den Körper gewickelt und sie haben Handzettel zum Darreichen im Griff. Man hat keine Lust anzuhalten. Die Werbeträger schauen einen aufmerksam an und man spürt, sie wollen Kontakt. Es sind auch Damen darunter, vielleicht auch Exemplare, die nicht im fortgeschrittenen Alter sind. Zwei oder drei. So genau sieht man es nicht beim schnellen Vorbeigehen. Man hätte eine Wurfschrift annehmen können, rein aus Recherche- und Archivierungsgründen. Aber man tut es nicht. Man müsste sonst ins Gespräch kommen. Irgendwie will man es eigentlich auch, aber man tut es nicht. Und es ist besser so. Es wäre wahrscheinlich eskaliert. Es ist Freitagabend in der Innenstadt. Sorgenbürger gehen auf die Straße für oft rein bio-deutsche Interessen. Unterkomplexe Welterklärungsmodelle werden feilgeboten und Angstbräuche praktiziert und dazu Feindbilder gepflegt. Wie schön muss es sein, an eine messianistische Angstbotschaft zu glauben, welche man freiwillig in Wind und Wetter seinen Mitmenschen antut? Oder hat man einfach nichts Besseres zu tun? Verteilt um den Haufen stehen mindestens vier Polizisten-Pärchen zum Schutz, also acht Individuen, bezahlt aus Steuergeldern. Kann ja sein, dass Salafisten angreifen. Die stehen ja manchmal nur zweihundert Meter entfernt vor dem Apple-Store mit ihren Give-away-Koranen und ihren ernst aufgezogenen Gesichtern. Liebe Damen und Herren, das Irrenhaus ist schon lange auf die Straße zurückgekehrt! Ihr alle wollt etwas »Gutes« tun. Hört auf damit! Hört auf, die Gesellschaft mit Eurem Randgruppenopferkult zu spalten! Hört alle auf, Eure Nicht-, Halb- und Viertelwahrheiten zu verbreiten. Das wäre schon gut genug. Glaubenssätze sind nur Sätze, an die man glaubt. Die freie Gesellschaft existiert, wenn man einen Bibliotheksausweis besitzt und Zeit investieren kann. Ihr investiert Zeit. Also habt Ihr Zeit. Aber Euer größtes Übel im Geiste ist das Suchen nach Sinn. Ihr ertragt es nicht, keinen unmittelbaren Sinn zu spüren. Genau deswegen tretet Ihr in die Denkfallen hinein und dreht Euch dann als Gehirn-Kadaver um diese Denkfallen – wieder und wieder – herum. Ihr gestikuliert wild und versucht, getrieben von Eurer angelernten grausamen Natur der Handlungsunfähigkeit, mittels Rhetorik andere auch mit hineinzuziehen. Ihr seid nicht nur Opfer einer Philosophie der Einfältigkeit, Ihr seid die Täter der Verwirklichung des Komplotts des Banalen. Ihr könnt nur nachahmen. Ihr seid keine Innovation. Ihr seid ein Überrest an Vergangenheit und verkauft das als Zukunft. [18.11.2016, München]

Aus meinem Buch mit dem Titel »Über das letztendlich unvermeidbare Zerwürfnis rationaler Wesen mit den immer häufiger kursierenden, klammheimlichen, nicht mehr im geringsten Ansatz beurteilbaren, rein gefühlten, nicht erdachten Weltanschauungen« ISBN: 978-3-945296-66-0 // Kastner Verlag 2018