>> FHYDRA – Für die Hysterisierung des reaktionären Abendlandes <<
[drawing with pigment-marker on laid paper; 2014]


// Interessante Taxifahrt: Ich habe neulich meinen ersten Wutbürger kennengelernt. Kaum hatte ich mein vornehmes Gesäß nicht unelegant auf dem Beifahrersitz abgestellt, tönten mir auch schon die ersten sehr emotional angelegten Tiraden ans Ohr: »Wo soll das alles hinführen? Man sagt uns, es wären eine Million Flüchtlinge, in Wahrheit sind es doch längst schon zwei! Und noch mehr werden kommen! Das ist gesteuert! Aber man darf nicht mehr sagen, was man will. Die Systempresse!« (Das Buch »Gekaufte Journalisten« aus dem Kopp Verlag liegt hinter dem Steuer an der Windschutzscheibe und wird mir sogleich regelrecht unter die Nase gewedelt.) Der Fahrer ist bereits in Rage. Es folgt ein kurzer Wortwechsel mit Floskeln, keiner dringt zu dem anderen durch und es kristallisiert sich kein Einvernehmen heraus, man redet eher, als zuzuhören. Ich erzähle von Rezensionen, die ich über das Buch gelesen habe, und dass ich selber aus dem journalistischen Betrieb komme und man nicht alles ernst nehmen solle. Er bringt das Gespräch auf die osteuropäischen Staaten, die ihre Grenzen dicht machten und so die Zivilisation schützten. Er meint, er habe einen gehörigen Respekt für die Politik dieser Länder übrig, da sie so mutig waren, dem aufgezwungenen Diktat aus Brüssel und den USA zu wider­sprechen. Seine Quintessenz: »Die Freimaurer sind an allem schuld! Die verfolgen ihre Pläne!« Ich werfe kurz ein, dass ich mir das nicht vorstellen kann und mein Urgroßvater selber Freimaurer war, und dass diese immer wieder mit allem Möglichen in Verbindung gebracht werden, und dass es meiner Ansicht nach Schwachsinn sei. Eine kurze Erläuterung über die Zeit der Aufklärung etc. folgt meinerseits: keine Ahnung warum. Wahrscheinlich hatte ich vor, klammheimlich zu den Illuminaten überzuleiten. Der Fahrer ist nun etwas ruhiger und hört zum ersten Mal zu. Aber er bleibt dabei. Er sieht den Untergang des Abendlandes nahen. Er ergibt sich in Unterscheidungen von Flüchtlingskategorien (»Die meisten sind doch gar keine echten Flüchtlinge! Wirtschaftsflüchtlinge! […] nur 20-jährige Männer!« Etc.) Er meint dann sogar, dass es nicht lange dauern werde, bis jeder Bürger Flüchtlinge zwangsweise aufnehmen muss und gute Deutsche dann aus ihren Wohnungen vertrieben werden würden, um Platz zu schaffen. »Alles von oben geplant und gesteuert!« Wer auch immer da dahintersteckt. Und dann ergeht er sich in seiner These, wie man die Flüchtlingsströme stoppen könnte. »Irgendwann bleibt uns nichts mehr übrig, als Asylheime ab­zubrennen, damit die endlich wissen, dass sie nicht mehr kommen sollen!« Ich erwidere erst einmal nichts. Er merkt, dass ich nachdenklich bin, seine Aussage ablehne, und wird auch langsam wieder ruhiger. Ich bekräftige meinen Glauben an das Grundgesetz und den Schutz von Privateigentum und Heimstätte. Dann hole ich weit aus und bemerke, dass seine »Presse« der sogenannten »Systempresse« in nichts nachstehe, da beide von Hysterisierung lebten, er hätte also nur die Kehrseite der Medaille erwischt. Ich schwafele etwas von dem Drang nach Klicks und Auflagen dahin und meine letztendlich, dass es einfach eine schwere Zeit für alle ist, dass Menschen immer nach besseren Lebensumständen suchen werden. Ich erzähle etwas von geopolitischer Neuordnung, erwähne nach seiner Anspielung auf die angebliche Alleinschuld des Amerikaners, wie er sich ausdrückt, und dessen Aufbau des IS die syrische Dürre (2007 bis 2010), dass der IS von ehemaligen Baath-Parteilern gegründet wurde, mache einen kurzen Schwenk zum schiitisch-sunnitischen Konflikt und meine, dass es trotzdem geboten ist, Menschlichkeit zu bewahren. Wir sind doch immer noch ein christliches Land, entfährt es mir (mir, dem absolut Ungläubigen). Aber es zeigt Wirkung. Er scheint jetzt auch nachdenklicher. Er wird gleich viel ruhiger. Abschließend, beim Zahlen, meine ich noch knapp: »Einen kühlen Kopf bewahren ist das Gebot der Stunde, nur so können wir die Probleme meistern.« Er pflichtet mir irgendwie bei. Die Fahrt dauerte vielleicht sieben Minuten. [16.12.2015, München]

Aus meinem Buch mit dem Titel »Über das letztendlich unvermeidbare Zerwürfnis rationaler Wesen mit den immer häufiger kursierenden, klammheimlichen, nicht mehr im geringsten Ansatz beurteilbaren, rein gefühlten, nicht erdachten Weltanschauungen« ISBN: 978-3-945296-66-0 // Kastner Verlag 2018