Das Basalt-Theorem //

Es sitzt sich noch recht gut für den Gecken auf seinem ehernen Thron. Seine Heerscharen folgen seinem Geleit, sein Gesinde zuckt vor seinem Zorn. Ein Zweitweib steht kurz vor der Niederkunft. Es wird kein weiterer Jüngling mehr erwartet, sondern eine Nachkommin. Der Hofstaat erquickt sich in der Gerüchteküche und labt sich an Klatsch und Rumor. Nur der mächtige Geck huldigt heimlichem Wehklagen. Der triftig Grund des Anschlags auf sein Gemüt war selbst ihm selbst nicht bekannt, doch spürte er ein Unbehagen tieferer Natur auferkeimen. Der zu Rate gezogene Reichsmagier war ratlos ebenso wie der Gesundungsalchemist. Die Abwesenheit jedweder Lust jedoch wirkte verheerend auf die zartbesaitete Emotionskonstruktion des so unwohl bewegten Gecken, war er doch sonst des Lebens Freuden angewöhnt. Seine bewährtesten auserlesenen Mätressen vermochten es nicht, seinen Schmerz zu lindern, denn es gab kein Verlangen mehr zu stillen. Eigens einberufene Festmähler verschlimmerten seine Zuständigkeit, da er sich nur an Appetit erinnerte, ihn jedoch nicht mehr verspüren konnte. Er aß zwar noch, doch ohne jeden ästhetisch Sinn, rein zum Zwecke der Ernährung und des Ausscheids, welcher ihm nunmehr auch schon mehr Last als Befreiung war.

So fraß sich unbegreiflich Trauer hindurch durch seine Tage und die langen, qualerfüllten Nächte waren voll von Gram und schrecklichsten Träumereien. Es zogen die Jahreszeiten an ihm vorüber, ohne bleibend Eindruck zu gewähren. Des Sommers belebende Wärme ließ ihn kühl sowie die elegante Nüchternheit der winterlichen Schönheit mancher Landschaften vermochte ihn nicht zu bewegen so wie einst. Die Hoffnungsfülle des Frühlings, der er sonst erlag, brachte nichts als Gleichmut und die Farbenpracht des Herbstes, welcher er früher zugeneigt war, entließ ihn mitunter sogar mit Abscheu in die nächsterwartete eisige Zeit. Den Bärenanteil des groben Regierungsgeschäfts hatte der Geck in weiser Voraussicht in die geschickten Hände eines wohlerfahrenen, ihm getreuen Beraterstabes gelegt, doch den wöchentlichen Bürgerausgleich behielt er sich bei, um den Anschein der ernsteren Stabilität und langfristigen Kontinuität aufrechtzuerhalten. Jedoch schnatterte das Volk und mancher Pöbel mutmaßte über die fragwürdige Statur des Gecken, war er doch zunehmend sichtlich ergraut und ansehnlich geschrumpft sowie in Figur allgemein geschmälert.

So begann er, den Gerüchten und Witzeleien seiner Unter­tanen mit grausamsten Sanktionen und extremen Körperstrafen zu begegnen, welche er von gehorsamen Lakaien ausführen ließ, um jene im Keime zu ersticken, was im Allgemeinen ein Klima bedächtig stiller Ängstlichkeit und bedrückender Schauer erschuf. Folglich wurde das Gemurmel oberflächlich leiser, erstreckte sich jedoch bald umso mehr in die Tiefe der Anteile der Be­völkerungsschichten, bis das Gerede letztendlich auch am Hofe Einzug hielt und den Ohren der Prinzen nicht gerade zur Belustigung gereichte. Ein Affront gegenüber dem herrschenden Gecken war ein direkter Affront gegen sie selbst in der Reinheit ihrer Nachfolge. Also traten die vier volljährigen und in menschlichen sowie gesellschaftlichen Belangen bereits hervorragend geschulten Prinzen mit dem Ältestenrat zusammen, um einen Entscheid über das Schicksal des unglücklichen Gecken zu erwirken, so er ihnen nicht mehr tragbar des Amtes schien und da einige von ihnen schon neiderfüllt und von der Sehnsucht nach eigener Macht ergriffen, auf seine Befugnisse schielten. In längeren, teils heftigen Disputen eruierten sie nun das weitere Schicksal ihres einstigen Gecken, denn seine vorläufige Entmachtung hatten fast alle einstimmig als notwendiges Übel eingefordert.

Das Subiectum der Beratschlagung, unser armer Geck, saß derweilen festgesetzt in seinem grünsten Salon alleine fest, zur erzwungenen Kontemplation und in fatalistischer Erwartung seines Urteils. Die schwerwiegenden, mit zahlreichen wunderbaren, fein geschnitzten Ornamenten geschmückten Pforten lagerten hart in ihren festen Schlössern. Die ausgeprägten Wandbilder unter dem Stuck begrenzten seinen Horizont, die staubigen Gobelins wehten ihn in die hinterste Ecke, das schwarze Holz des Mobiliars erdrückte ihn mit seinen Unzen von auf ihm lagerndem Tafelsilber und den überaus üppig gestalteten echt güldenen Kandelabern. Friedfertig trug er seine Trauer mit sich, reflektierend seines Lebenswerkes, bereit, seine weitere Bestimmung ohne Gegenwehr in Empfang zu nehmen, welche nun tatsächlich nicht mehr in seiner eigen Hand gelegen schien, wie die vergangenen Jahrzehnte zuvor. Seine Entfernung aus der öffentlichen Ansicht erschien ihm selbst als nur zu sicher und doch fürchtete er weder eine ramponierte Reputation seiner selbst durch Rufmord oder andere Kampagnen noch die Ausgeschlossenheit aus dem Gedächtnis seiner vormaligen Gesellschaft an sich. Seine Furcht galt einzig der vage gehaltenen Hoffnungslosigkeit einer Existenz als Geck außer Dienst. So mancher Sinn und Zweck waren ihm ja in der grausamen Zeit der lang anhaltenden Melancholie und der Abwesenheit von jeglicher Freud schon abhanden gekommen, jedoch unausweichliche Sinn- und Zwecklosigkeit verkörperten für ihn regelrecht einen zwar nicht-­materiellen, aber doch absolutistischen Tod geistiger Natur. Aber wie auch immer sein Urteil ausfallen würde, er würde es mit der ihm innewohnenden Fassung und mit ausgewogenem Gleichmut ertragen. Es würde ihm kein Zacken aus der Geckenkrone fallen, welche er unausweichlich sowieso abzugeben hatte an einen seiner ältesten Nachkömmlinge, insofern sie es gemei­s­tert hätten, ihre Regelung der Erbfolge zu entscheiden, ohne dem Schwert das letztendlich Wort zu erteilen.

Ein Erlass war getroffen. Sein Schicksal war nun offiziell von den drei verbliebenen mündigen Erbprinzen besiegelt worden, der Senat und der Hofrat hatten dem Urteilsspruch schon einspruchslos beigestimmt sowie auch seine angetrauten Weibsbilder, die weiteren Kinder, einige bekannte Bastarde und die weiter entferntere Verwandtschaft aus den entfernteren Gegenden des Reiches. Alle waren sich einig. Die klamm einherziehenden Minuten vor der unausweichlichen Verkündigung des letztendlichen Urteils waren gnadenlos und unbarmherzig.

Der scheidende Geck wurde in den Arbeitsbereich seines ehemaligen Thronsaales geführt, wo er angehalten wurde, vor seinem vorherigen Amtsstuhle, welcher sich hier, dank vortrefflicher Zimmermannskunst, nun verdreifacht hatte, zu erknien, um dem nun zu verkündenden Spruch zu lauschen. Unter den Augen seiner Prinzen und einer extra für diesen Anlass einbe­rufenen Grand Jury blickte er empor zu den künstlerisch äußerst anspruchsvoll ausgearbeiteten Buntfenstern, welche ihm über all die vielen Jahre den Rücken schmuckvoll ausgeleuchtet hatten. Der gesamte Hofstaat war herbeigerufen worden und auch einige Fürsten aus Exklaven und Überseekolonien, welche zufälligerweise zu dieser Jahreszeit zum Rapport zugegen waren, säumten die Ränge zwischen den Säulen des Prunksaales. An der äußersten Peripherie waren sogar der intellektuelle Briefadel, gut vernetzte Freudenhausbetreiber und einige ausgewählte Geldverleiher, die gute Beziehungen zu Hofe pflegten und in Kriegsangelegenheiten als zuverlässig zu werten waren, zugelassen worden.

Unter den bestimmten Klängen der Fanfaren betraten nun der Prokurist, der Schriftführer sowie zwei Eunuchen in vollem Stolz und Ornat die Räumlichkeit, welche sofort unter ehrer­bietender Stille erstarrte. Mit ernst aufgetragenen steifen Mienen und Anwandlung überschwänglicher Andacht wurde ein fein eingerolltes Pergament, umfasst von zwanzig Fingern, emporgehalten von den vier Händen der erkorenen Boten, den drei Prinzen angebracht und dargereicht, welche es wohlgönnend entgegennahmen, um es erneut dem versammelten Publikum mit den Armlängen gereckt über die Köpfe, so dass es jedem noch zur Schau gestellt war, vorzustellen. Ehrfürchtiges Erwarten füllte die Luft zwischen den Anwesenden auf, während das Siegel von dem ältesten Prinzen erbrochen und das Pergament dann sachte entrollt wurde. Die Ehre des Vortrages gebührte jedoch dem Schriftführer, der ebenso das Protokoll – in diesem speziellen Fall zwar aus dem Gedächtnis – aufzuzeichnen hatte. Eine Geckenabsetzung in dieser Form hatte es in der aufgezeichneten Geschichte zuvor noch nicht gegeben. Mit zittrigen Händen nahm der Schriftführer das nun lesbare Schriftstück achtsam aus des Prinzen Obhut entgegen, um es auf seines Hauptes Höhe in das restlich einfallende Tageslicht zu tauchen.
Der zu entmachtende Geck verharrte kniend, aber ehrwürdig. Er machte sich keinerlei Illusionen, aber doch ging er im Geiste seine eventuellen Möglichkeiten durch. Vielleicht würde er Zeit seines Lebens in der Schlossbibliothek ausharren können, um sein einst vernachlässigtes Studium der vorsokratischen Philo­sophie und der Geschichte des allgemeinen Rechtes sowie der angewandten Juristerei wieder aufzunehmen, und zusätzlich wenigstens noch an einigen ausgewählten Familienzusammenkünften teilnehmen dürfen, um seine Erben noch etwas mehr erwachsen zu sehen. Jedoch bestand sowohl die Möglichkeit der Verstoßung in das klösterliche Leben am Rande des Reiches zum Zwecke der Mission und Kräutergartenpflege als auch ein vorgezogenes Ableben mit oder ohne Schmerzbefreiung durch Schafott oder Eiserne Jungfrau – vortrefflich zum Zwecke der fortgeführten Auflösung seiner Kosten zur weiteren Lebens­erhaltung. Dem nun schon fast offiziell ehemaligen Gecken war jede Lösung recht. Das Dasein seiner selbst schien ihm beiläufig, und je eher es schneller vorüber wäre, umso rechter war es ihm. Schon seit langem Zeitenraume war er sich seiner selbst nicht mehr bewusst und empfand sich als taub gegenüber der Materie dieses Universums. Andererseits könnte er auch ausharren, egal wo, egal wie, da er sich letztlich nicht im Hier befand und fühlte.

»Oh Du gelobpreister, uns allen noch bekannter und zu allen Zeiten von Deinem Volke und Gesinde willentlich innig verehrter, aufrichtig geliebter und wohlgelittener Geck!«, eröffnete der Schriftführer die Ansprache an die versammelte Gemeinde.

»Mit inbrünstiger Ehrerbietung und tiefester empfundener Bekennung gegenüber Ihro Gecklaucht allgemeinwohligen Taten und Hingebungen den Geschicken dieses Reiches und seiner Geschöpfe gegenüber erlauchen wir Euch zu aller Zeiten Gedenk, in der Krypta des Nebendomes Euer ein Täfelchen anzubringen, auf welchem Euer, der Ihr Geck gewesen für glorvolle Dekaden, auf Zeiten zu gedenken sei! Voll von Ehrfurcht erfüllt gebieten Ihro drei Erben von Gnaden Ihrer und geloben Reichtum und Ansehen unserer Landen, welche Ihr, gelobt sei es, gemehrt und geschützt habet, sowohl zu mehren wie zu beschützen.«

An dieser Stelle machte er eine künstlerische Pausierung in rheto­rischem Stil, blickte bedacht auf zu den drei Prinzen, die milde einher­sahen, dann zum Prokuristen und den Eunuchen, dann zu Hofe und dann zum beschiedenen Gecken, den keine Träne schmückte.

»Ihro Gecken außer Zwecke körperlicher Hülle jedoch bescheiden wir sofortige Verbannung aus des Reiches Grenzen zum Wohl und Abstand des nun für künftige Zeiten auszu­rufenden dreifaltigen Geckentums, welches in angemessenem Tone nach Ihro Ausscheidung reichsweit zu vollstrecken sei. Es sei Euren Gnaden außer Zwecke beschieden, als Hab und Gut, die Leinen am Leibe sowie zwölf an Silberlingen mit Euch selbst abzuführen aus der Observanz der neuen Majestäten, auszuzahlen von der Staatskasse – umgehend. Huldigt und dankt!«

»Gehuldigt sei mit Dank!«, sagte der Geck außer Zwecke und drehte sich in Richtung Auditorium, um sich elegant zu verneigen und von dannen zu ziehen. Der Hofstaat bildete eine schlanke Trasse, durch welche der ehemalige Geck nun schritt, um Dank und Lob seiner vormaligen Untertanen zu empfangen. Vor dem mächtigen Tore hielt er kurz inne, um seine Silberlinge aus des Schatzmeisters Hand zu erhalten, zwei Hofschranzen öffneten ihm und entließen ihn somit in das ungewisse Etwas, das da nun vor ihm lag. Er hatte jetzt kein Zuhause mehr, aber nur noch Zukunft. [13.6.2018, über Afrika]

Aus meinem Buch mit dem Titel »Über das letztendlich unvermeidbare Zerwürfnis rationaler Wesen mit den immer häufiger kursierenden, klammheimlichen, nicht mehr im geringsten Ansatz beurteilbaren, rein gefühlten, nicht erdachten Weltanschauungen« ISBN: 978-3-945296-66-0 // Kastner Verlag 2018